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Carter Williams

programmtext

Canticum Canticorum 4 5 für Sopran, Bass und Live-Elektronik (2022)

Das Hohelied erzählt die Geschichte zweier Liebender – eines Mannes und einer Frau. Die meisten bekannten Vertonungen thematisieren diese Mann-Frau-Dualität nicht explizit. Oft werden Texte von der Frauenfigur von einer männlichen Stimme gesungen oder umgekehrt. Palestrina zum Beispiel wählt eine neutrale, abstrakte, polyphonische Textur. Selbst Monteverdi, der eher zur Dramatik tendiert, hat in der Marienvesper diese Figuren nicht als männliche oder weibliche Rollen vertont: Nigra sum (im Gedicht von der Frau gesprochen) wird von einem Mann gesungen und Pulchra es (im Hohelied vom Mann vorgetragen) ist als Duo für zwei weibliche Stimmen gesetzt.

Für das Projekt mit Irene Kurka und Martin Wistinghausen bietet sich an, nun die Mann-Frau-Thematik in den Vordergrund zu rücken. In meiner neuen Komposition für Sopran, Bass und Live-Elektronik werde ich Textstellen aus den Kapiteln 4 bis 5 zusammenstellen, um diesen Dialog durch zwei SängerInnen zu verkörpern. Dank der besonderen Fähigkeiten der beiden Akteure – sie verfügen über einen großen Tonumfang, über reizvolle Stimmfarben in den Randregistern – ergibt sich die Möglichkeit, an einigen Stellen männliches Falsett und tiefes Sopran-Brustregister verschmelzen zu lassen, und so die klare Rollenverteilung aufzubrechen.

Als weitere Ebene tritt die Live-Elektronik hinzu, die die Stimmen der beiden Solisten in vielstimmige, chorische Klangwelten überführen.
vita
Carter Williams (* 1976), Komponist und Performer konzentriert sich auf neue und experimentelle Musik. Seine Arbeit wird von der Interaktion zwischen Medien, Technologie, Interpreten und Publikum inspiriert. Als Interpret setzt er sich für die Wiederbelebung der Viola d’amore ein und hat zahlreiche neue Kompositionen für dieses Instrument uraufgeführt. Seine Werke wurden bei großen internationalen Festivals und in Zentren für neue Musik aufgeführt.