Nikolaus Brass
Foto: Robert Fischer

Nikolaus Brass

nutzlos zu sein, für Sopran und Bass (2022)
vita
Nikolaus Brass (*1949 in Lindau am Bodensee) studierte zunächst Medizin in München, Glasgow und Berlin. Parallel kompositorische Studien in München, Berlin und Hannover. Langjährige berufliche Tätigkeit als Redakteur eines medizinisch-wissenschaftlichen Verlags. Veröffentlichte Kompositionen und Aufführungen bei nationalen und internationalen Festivals der Neuen Musik seit den 1980er Jahren. Zahlreiche Rundfunkproduktionen seiner Werke und CD-Veröffentlichungen sowie Features über seine Musik in verschiedenen Rundfunkanstalten. Umfangreicher Werkkatalog mit Vokal-, Orchester-, und Kammermusik und in den letzten Jahren auch Musik für das Musiktheater: Sommertag – Kammermusiktheater in Raum (Münchner Biennale für Neues Musiktheater 2014, Ultraschall-Festival 2015, Neuinszenierung an der Staatsoper unter den Linden 2018) und Die Vorübergehenden (Bayerische Staatsoper 2018). Neben reinen Orchesterwerken zahlreiche Werke für Stimme(n) in verschiedenen Besetzungen, u. a. Stimme und Tod für 7 Stimmen (UA Eclat-festival Stuttgart 2011), Der Garten für 4 Männerstimmen und Orchester (UA 2012 München, musica viva), fallacies of hope – deutsches requiem für 32 Stimmen in 4 Gruppen mit Textprojektionen aus dem Roman von Peter Weiss: Ästhetik des Widerstands (UA Eclat-festival 2014, Stuttgart) oder Der goldene Steig – eine Erzählung für Sopran und Orchester mit einem Text aus Peter Kurzecks Roman: Oktober und wer wir selbst sind (Uraufführung bei der musica viva, München, 2016). 2019 entstand im Auftrag des ORF die Komposition: Wieviel Heimat braucht der Mensch für einen Sprecher und Orchester mit dem gleichnamigen Text von Jean Amery. Im Corona-lockdown 2020/21 entstand: SEI SOLO – coronaseries: Sechs Partiten für Violine solo. Neben der kompositorischen Arbeit zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und essayistische Beiträge für den Bayerischen Rundfunk. 2019 erschien bei Schott „Nikolaus Brass: Texte – Gespräche, Essays, Werkkommentare. Brass ist seit 2014 Mitglied der Bayerischen Akademie der schönen Künste und seit 2021 Direktor deren Musikabteilung und seit 2018 Mitglied der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und der Künste, seit 2022 ist Brass auch Mitglied der Akademie der Künste, Berlin. Brass lebt seit 2017 wieder in seiner Geburtsstadt Lindau am Bodensee.
programmtext

nutzlos zu sein, für Sopran und Bass (2022)

Nutzlos zu sein

Sechs Duette für Sopran und Bass
Text: Stephanie von Hoyos

1
Am liebsten ginge ich wieder einmal über alle Berge –
ziellos, unerkannt.

2
Wolken ohne Regen, dazu noch kühler Wind.
Was soll schon aus dem Osten Gutes kommen
außer jeden Tag die Sonne.

3
Schlecht schreiben über andere Menschen macht krank und ängstigt. Es geht nicht aus den Fingern.
Ja, der Reis ist schlecht geworden, die Suppe schlecht. Ich schreibe nicht schlecht über andere – ich habe keine Zeit. Rette sich wer kann.

4
Heute hat der Regen sogar das Blätterdach durchdrungen,
schöne Feuchtigkeit breitet sich aus,
die Lunge weitet sich, die Stimmung wird tollkühner.
Ich erwache und bald treibt mich die Traurigkeit um.
Wo ist die Leiter, um herauszuklettern?
Was wissen wir, was weiß ich, ob ich nicht schon sehr lange –
Zu lange? – gelebt habe.
Großzügig fällt der Regen zu Boden,
die Erde öffnet alle Poren.

Was sagt der Experte?
Wir brauchen ein halbes Jahr Regen.
Wer könnte das ertragen?

5
Ich schreibe mir etwas schön
weil die Erinnerung zu schmerzhaft ist
und so schreibe ich so schön ich kann
und bitte die Erinnerung um Gnade.
Schön ist der Wald
Schön ist die Liebe
Schön sind die Vögel
Schön ist mein Herz,
wenn es schlägt.
Schlag schön und gedenke Deiner Farbe,
kehre zurück zum Grün,
es ist gnädig und nimmt Dich auf.

6
Nutzlos zu sein ist die Idee der Zeit.